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Auf den ersten Blick verbindet Maren Hirschberg, Nicole Hötte und Michaela Salzwedel nicht viel. Die eine kommt aus Warstein, die andere aus Rüthen, die Dritte im Bunde aus Soest. Zusammengeführt wurden die drei von einer Eigenschaft, die für Außenstehende nicht sichtbar ist – eine unheilbare Krankheit.
Warstein/Soest/Rüthen – Die drei Frauen leiden an Multiple Sklerose (MS). Um direkt mit einem weit verbreiteten Irrtum aufzuräumen: „Nein, MS steht nicht für Muskelschwund“, sagt Maren Hirschberg aus Warstein. Wenn die 28-Jährige auf ihre Krankheit angesprochen wird, müsse sie oftmals mit Vorurteilen aufräumen. „Viele erzählen, dass sie jemanden kennen, der auch MS hat, stellen dann Vergleiche an und verstehen nicht, wenn ich eine Symptomatik habe, die sie von ihrem Bekannten nicht kennen.“
Nicole Hötte aus Rüthen (35) ergänzt: „Viele wissen nichts über die Krankheit und erlauben sich zu schnell ein Urteil. MS ist eine Krankheit mit tausend Gesichtern – jeder Patient hat andere Symptome. Die Vergleiche nerven.“ Die nervigen Erfahrungen, von denen Nicole Hötte berichtet, sind nicht etwa über Jahre gesammelt und werden entsprechend komprimiert von ihr wahrgenommen – nein: All den Sprüchen, „Ratschlägen“ und Vorurteilen sah sie sich in den vergangenen Wochen und Monaten gegenüber. Sie sind genauso frisch wie ihre Diagnose. Die bekam sie 2019.
„Ich wollte es nicht wahr haben, hoffte auf eine Fehldiagnose“, sagt sie. Doch nach kurzer Zeit blickte Hötte der Realität ins Auge: „Ich habe mich schnell dazu entschieden, kein Geheimnis aus meiner Krankheit zu machen und offen mit ihr umzugehen. Das erspart eine Menge Stress im Alltag.“
Multiple Sklerose: Was ist eigentlich MS?
Multiple Sklerose ist eine unheilbare Erkrankung des Zentralen Nervensystems. Sie tritt entweder in so genannten Schüben auf oder verschlimmert sich schleichend. Da die Erkrankung von Mensch zu Mensch an anderen Stellen des Nervensystems auftritt, sind auch die Symptome unterschiedlich. Das macht die Diagnose oftmals zu einem langwierigen Nervenkrieg.
Michaela „Michi“ Salzwedel (49) aus Soest ging 1996 zum Arzt. Ein Kribbeln wie von zigtausend Ameisen lief ihren Nacken herunter, Sehprobleme kamen hinzu. Bereits damals vermutete die Krankenschwester, dass sie MS haben könnte. Der Arzt habe sie abgespeist, nicht ernst genommen, berichtet sie.
MS-Betroffene berichten: "Vergleichbar mit Kurzschlüssel zwischen den Nerven-Enden"
Die Probleme verschwanden nicht mehr: „Über die Zeit wurden mir mehr Wirbel aus- statt eingerenkt. An ausgerenkten Wirbeln lagen die Symptome nämlich nicht“, so Salzwedel. 2006 litt sie unter einem großen Schub. „Diese Schübe sind vergleichbar mit Kurzschlüssen zwischen den Nerven-Enden“, erklärt die Soesterin. „Nach diesem Schub war mein Körper wie mittig geteilt, auf der rechten Seite konnte ich zum Beispiel nichts mehr schmecken.“
Über 18 Wochen habe sie ein Martyrium über sich ergehen lassen, habe eine Arztpraxis nach der anderen von innen gesehen. „Plötzlich sagte ein Arzt, dass es ein Schlaganfall sein muss und ich sofort ins Krankenhaus müsste – 18 Wochen nachdem die Symptome ausgebrochen sind.“ Ein Schlaganfall konnte ausgeschlossen werden. Später ereilte sie der nächste Schub. Diesmal war die linke Körperhälfte betroffen.
MS-Diagnose nach 13 Jahren: "Endlich wurde ich ernst genommen"
Nach einem weiteren Untersuchungs-Marathon wurde die Multiple Sklerose in einem Lippstädter Krankenhaus diagnostiziert. Insgesamt lagen zwischen ihrem ersten Verdacht im Jahr 1996 und der Diagnose 13 Jahre. „Ich bin in Tränen ausgebrochen – es waren Freudentränen. Endlich wurde ich ernst genommen“, erinnert sie sich.
Ähnliche Erfahrungen machte Maren Hirschberg: „In der sechsten Klasse hatte ich erste Symptome und sah Doppelbilder. Mein Arzt unterstellte mir, dass ich mir das nur einbilden würde und lediglich keinen Bock auf die Schule hätte. Nach vier bis sechs Wochen war alles wieder in Ordnung – eine Erklärung für die Symptome gab es nicht.“
MS-Diagnose: "Die Ärzte nahmen mich nicht für voll"
Immer wieder traten Symptome auf, häufig in Klausurphasen. „Ich spürte ein Kribbeln in den Armen, sah milchig – die Ärzte nahmen mich wieder nicht für voll, schoben es auf Prüfungsstress.“ So vergingen weitere Jahre. 2013 - seit den ersten Problemen waren da mittlerweile neun Jahre vergangen - breiteten sich die Symptome weiter aus: „Es fühlte sich an, als hätte mir jemand einen Betonklotz an den Fuß geschnallt. Zu dem Zeitpunkt kribbelte meine komplette linke Körperseite. Ich war weder in der Lage, einen Stift zu halten, noch irgendwie über eine „längere“ Zeit auf einem Stuhl zu sitzen.“
Auch das Laufen fiel der jungen Frau immer schwerer. „Da ging meine Mutter mit mir ins Krankenhaus.“ Über ein MRT kam die bittere Diagnose ans Licht: Multiple Sklerose. Der Besuch bei einem Neurologen folgte, der das Chaos für sie perfekt machte: „Er behauptete, dass es kein MS ist und verschrieb mir Antidepressiva. Die habe ich nicht genommen. Meine Mutter, die 2006 ebenfalls eine MS-Diagnose bekommen hatte, obwohl die Krankheit nicht vererbt wird, organisierte mir einen Termin in der Sauerlandklinik in Hachen“, berichtet die Warsteinerin.
MS-Erkrankung: "Leider kommen einige Personen in meinem Umfeld damit nicht zurecht"
In Sundern-Hachen habe sie „eine super Ärztin“ gehabt – und eine gesicherte Diagnose: MS. Für Maren Hirschberg sei der Umgang mit Hilfsmitteln in der Öffentlichkeit „alles andere als einfach“. „Doch mein Bruder, mein Freund und meine Familie haben mir immer wieder die Angst genommen. Ich bin ja kein anderer Mensch, nur weil die Beine mal nicht so funktionieren, wie sie sollen. Leider kommen einige Personen in meinem Umfeld nicht damit zurecht, dass ich an einem Tag gefühlt zehn Kilometer laufen kann und am nächsten Tag den Rollstuhl brauche.“
Die drei Frauen kritisieren, dass Erkrankte viel zu lange auf Gewissheit, eine stichfeste Diagnose warten – ja sogar um sie kämpfen müssen.
MS-Patientinnen gehören zu Corona-Risikogruppe
Auch die aktuelle Corona-Lage mache das Leben der drei aktuell nicht leichter. Sie gehören zur Risikogruppe. „Meine Physio-Praxis hat von heute auf morgen für sieben Wochen dicht gemacht. Das hätte mir fast das Genick gebrochen. Ich konnte eine Woche lang nicht laufen, war wieder auf den Rollstuhl angewiesen.“ Ohne die Hilfe ihrer Familie hätte sie diese Situation im zweistöckigen Einfamilienhaus nicht bewältigen können, sagt sie.
Salzwedel ärgert sich über Menschen, „die nicht einmal die kleinsten Schutzmaßnahmen über sich ergehen lassen können“. „Ich habe wirklich einen Supermarkt-Hass entwickelt. Auf Mindestabstand achten und eine Maske tragen - das kann doch nicht so schwer sein. Wer das nicht schafft, bringt uns in Gefahr!“ Stress vermeiden, Ruhe suchen - das sind Dinge, auf die MS-Patientinnen und -patienten Wert legen müssen, um ihr Nervensystem zu schonen. „Durch die Schließung der Schulen und Kindergärten bin ich da an meine Grenzen gekommen“, sagt Nicole Hötte. Sie ist Mutter von zwei Söhnen, die wegen des Coronavirus ebenfalls zuhause bleiben mussten. Eine zusätzliche Belastung.
Leben hat sich durch MS verändert: "Behandelt mich wie vorher auch!"
Durch die Krankheit habe sich das Leben schlagartig verändert, berichten die drei. „Man merkt, wer zu einem steht und wer es nicht tut“, sagt Hötte. „Ich wünsche mir einfach: Behandelt mich wie vorher auch! Ihr braucht euch kein Urteil bilden, mich nicht in eine Schublade packen, übertrieben Hilfe anbieten oder mich in Watte packen“, lautet ihr Appell. „Ich bin die Gleiche, die ich vorher auch war. Und wenn ich Hilfe brauche, habe ich einen Mund, den ich aufmachen kann.“
Gleichzeitig betont sie, wie dankbar sie Familienmitgliedern, Freunden und auch Arbeitskolleginnen ist, die Verständnis zeigen und ihr nicht das Gefühl geben „etwas Besonderes“ zu sein. Dankbar sind Michi Salzwedel und Maren Hirschberg auch ihren Pferden, die einen immensen Teil zu der Therapie für eine Krankheit beitragen, für die es keine abschließende Therapie gibt.
"Mein Shetlandpony hat mit mir laufen geübt"
"Pferde sind die einzigen Tiere, die den selben Schritt haben wie Menschen. Sie helfen - ob physisch oder psychisch", erklärt Maren Hirschberg. "Die Tiere verstehen einen. Mein Shetlandpony hat mit mir laufen geübt", ergänzt Michi Salzwedel.
Salzwedel findet klare Worte, was die Erfahrungen mit ihren Mitmenschen im Alltag angeht: „Von manchen Menschen bekommt man tagtäglich aufs Brot geschmiert, dass man krank ist. Die machen das nicht einmal extra, sondern sind mit der Situation einfach überfordert.“ „Es ist überhaupt kein Problem, wenn Leute fragen, was los ist. Ich erkläre ihnen meine Situation und meine Krankheit gerne so gut ich kann. Das ist allemal besser, als wenn es dumme Kommentare gibt oder hinter meinem Rücken geredet wird“, betont Maren Hirschberg.
Eine schöne Erfahrung, die Mut für die Zukunft macht
Ein Erlebnis im vergangenen Jahr habe ihr in dieser Hinsicht Mut gemacht: Die Hochzeit einer guten Freundin stand an - ausgerechnet zu dieser Zeit hatte sie mit einem MS-Schub zu kämpfen und war an den Rollstuhl gefesselt. „Ich wollte erst gar nicht hin, hab es dann aber doch getan.“ Diese Entscheidung sollte sie nicht bereuen: „Es war so schön - alle Leute waren normal zu mir. Ich würde mich freuen, wenn es immer so wäre.“
Author: Mary Hebert
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